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49.4 hrs on record (46.6 hrs at review time)
Blandfield
Obwohl die Bethesda-Rollenspiele seit gefühlt 20 Jahren mit den gleichen Unzulänglichkeiten jonglieren, war ich stets ein Fan. Seit Morrowind hatten sie mich fest am Haken. Daher fieberte ich natürlich auch dem Erscheinen von Starfield entgegen.

Doch die Vorfreude verflog schneller, als man "Ladescreen" sagen kann. Die Story war dürftig, die Menüs eine absolute Vollkatastrophe, und die Technik für das Jahr 2023 hoffnungslos veraltet. Das finde ich grundsätzlich sogar tolerierbar, weil man bei einem Bethesda-Titel halt vorher weiß, dass man sich mit so einem Blödsinn arrangieren muss.

Schlimmer fand ich, dass Starfield die typischen Stärken von Bethesda völlig vermissen ließ.

Story und Charaktere
Wir beginnen als bedeutungsloser Minenarbeiter. Nach fünf Minuten Bergbauarbeit stoßen wir auf ein mysteriöses Artefakt und ZACK! – sind wir mal wieder der Auserwählte. Ein Typ, den wir zuvor noch nie gesehen haben, schenkt uns sein Raumschiff und plötzlich sind wir Mitglied der Constellation, einer exklusiven Abenteurergilde, die sich dem Ziel verschrieben hat, das Universum zu erkunden.

Ja ne, is klar...

Mir ist durchaus bewusst, dass spannendes Storytelling nie Bethesdas größte Stärke war, aber hier haben sie es nicht einmal versucht. Auf diesen wenig glaubwürdigen Einstieg folgt nämlich die abgedroschenste "Du-bist-der-Auserwählte"-Geschichte, die sich wie ein alter Kaugummi zieht (ohne Spannung, aber mit ordentlich MacGuffin-Jagd). Und auch die Lore von Starfield ist nicht überzeugend. Die Constellation will das Universum erforschen? Warum hocken dann alle Mitglieder gelangweilt in ihrer Loge herum und warten nur darauf, dass der Spieler auftaucht? Warum gibt es auf jedem "unerforschten" Planeten überall dieselben Banditenlager? Und warum liegt hier Stroh rum?

Echtes Roleplay lässt die Handlung ebenfalls nicht zu – bei fast jeder Quest gibt es eine mehr oder weniger festgelegte Vorgehensweise oder eine "Illusion of Choice" ohne irgendwelche echten Konsequenzen. Der Vergleich mag etwas unfair sein, aber wenn man gerade von Baldur's Gate 3 kommt, ist es regelrecht erschreckend, wie limitiert Starfield da ist.

Und die möglichen Begleiter sind alle vollkommen belanglose NPCs, die einem schon nach wenigen Sätzen auf den Geist gehen und alle dem gleichen moralischen Kompass folgen – unterschiedliche Charaktere? Fehlanzeige.

Spielwelt und Erkundung
Die größte Stärke von Bethesda war für mich immer die Erkundung der Spielwelt. Bei Fallout oder Elder Scrolls konnte man stets darauf vertrauen, hinter jeder Ecke auf etwas Interessantes zu stoßen. Bei jeder Quest wurde man auf dem Weg mit Dutzenden von Ablenkungen überrascht.

Bei Starfield hingegen kommt trotz 1000 Planeten nie das Gefühl der Erkundung einer konsistenten Welt, geschweige denn eines Universums auf. Da es in der prozedural generierten Ödnis auch absolut nichts zu sehen gibt (abgesehen von immer gleichen Banditenlagern und ähnlich belanglosen Points of Interest), wird die Schnellreise sofort zum besten Freund.

Gameplay
Die Quests sind dabei vom Gamedesign her die generischsten FedEx-flieg-dahin-und-hol-was oder Kopfgeldjäger-flieg-dahin-und-töte-wen-Aufträge.Die werden dann dank Creation-Engine meist zur absurden Ladescreen-Odyssee. So kann das z.B. ablaufen:
Ihr nehmt eine Quest bei einem Händler an, verlasst den Laden und macht euch auf den Weg zu eurem Schiff: Ladescreen
Dann verlasst ihr das Stadtviertel Richtung Raumhafen: Ladescreen.
Dann steigt ihr in euer Schiff ein: Ladescreen.
Dann setzt ihr euch auf den Pilotensitz: Nicht überspringbare Cutscene.
Ihr navigiert euch durch das fummeligste Sternenkartenmenü, das ihr euch vorstellen könnt, und wählt das Sternensystem des Questziels aus. Kein Ladescreen, aber ihr fliegt natürlich auch nicht nahtlos hin: denn das Ziel ist zu weit weg.
Also wählt ihr ein nähergelegenes System aus: Ladescreen.
Aus diesem System wählt ihr über die fummelige Karte dann das Zielsystem aus. Ihr ahnt es sicher schon... Ladescreen.
Hier wählt ihr den Planeten aus: Ladescreen.
Dann steigt ihr aus dem Schiff aus: Ladescreen.
Ihr lauft drei Minuten lang durch eine prozedural generierte Wüste, in der es nichts gibt. Angekommen beim Ziel (ein Banditenlager) tötet ihr ein paar Gegner und betretet das Lager. Ladescreen.
Hier tötet ihr das Ziel. Auf dem Rückweg gibt es dann plötzlich eine spannende Wendung, ein Komplott wird aufgedeckt und... nein, natürlich nicht! Ihr reist einfach zurück und navigiert euch nochmal durch drölf Ladescreens.

Positiv zu vermerken ist aber, dass das Gunplay bei Starfield mittlerweile wirklich solide ist. Das hier ist natürlich kein CoD, aber die Waffen fühlen sich wirklich einigermaßen gut an und die Feuergefechte machen tatsächlich ab und an Spaß – wenn man darüber hinwegsehen kann, dass die KI der Gegner ungefähr so clevere Entscheidungen trifft wie eine Taube bei einem Schachturnier.

Für Levelaufstiege gibt es dann noch einen ganzen Haufen Perks – die lassen sich aber erst freischalten, nachdem man stumpf nervige Aufgaben abgearbeitet hat. Muss ich wirklich erst 100 Mal meinen gesamten Sauerstoff verbrauchen und Schaden nehmen, bevor ich das verbessern kann? Ernsthaft, Bethesda? Stellt euch vor, ihr müsstet erstmal auf 100 Lego Steine treten, bevor ihr lernen könnt, wie ihr euch Schuhe anzieht. Das ist Starfield.

Grafik
Starfield sieht, wie man es von Bethesda gewohnt ist, ganz ok, aber nie wirklich toll aus. Die Innenräume sind detailliert, die Texturen scharf, und die Lichtstimmung bewegt sich größtenteils auf einem zufriedenstellenden Niveau. Doch, wie sollte es anders sein, begegnet uns auch hier wieder der typische Bethesda-Irrsinn: An Oblivion erinnernde Dialogregie, Animationen, die einen an Commander Shepards Tanzschritte denken lassen, und eine Vielzahl an Grafikglitches, die von unfreiwillig komisch (wenn der Begleiter in einem wichtigen Dialog wild epileptisch gegen die Fahrstuhltür rennt) bis hin zu furchteinflößend reichen (manches leere Starren einiger NPCs).

Sound
Der Sound ist so weit auch in Ordnung. Die Figuren sind gut auf englisch und deutsch vertont, die Waffen- und Umgebungssounds erfüllen ihren Zweck und der Soundtrack ist auch schön. Das alles haut einen nicht vom Hocker, ist unterm Strich aber wirklich hochwertig.

Wiederspielbarkeit
Wegen des bereits erwähnten völlig fehlenden Rolepays gibt es in Starfield quasi keine nennenswerte Wiederspielbarkeit. Da wirkt es fast ironisch, dass das Spiel einen geradezu zum New Game+ animieren möchte. Wozu?

Umfang
Starfields Hauptstory lässt sich in ca. 25 Stunden durchspielen und dann gibt es noch einmal ungefähr auf gleicher Länge Neben- und Fraktionsquests zu erledigen. Und mit endlosem New Game+ und tausenden Planeten könnte man sicher hunderte Stunden in Starfield verbringen. Wenn einem seine Zeit etwas wert ist, fällt mir allerdings kein Grund ein, warum man das auch tun sollte.

In Zahlen
Writing
Charaktere 5/10
Story 3/10
Nebenquests 5/10

Technik und Atmosphäre
Spielwelt 4/10
Grafik 7/10
Sound 8/10

Gameplay
Kampfgefühl 7/10
Waffenarsenal und Fähigkeiten 3/5
Skillsystem 3/5
Wiederspielbarkeit 3/10
Umfang 10/10

Insgesamt: 58/100

Puh, da habe ich jetzt doch etwas heftiger in den Sternennebel gekotzt, als ich wollte. Und mir tut dieser Verriss auch fast leid, denn Starfield hat mich durchaus einige Stunden lang gut unterhalten, und hin und wieder blitzte sogar echter Spaß auf. Dennoch kann ich über all die Probleme nicht hinwegsehen. Deswegen kann ich das Ding hier einfach nicht weiterempfehlen. Steckt eure kostbare Zeit lieber in andere Spiele, da habt ihr meiner Meinung nach mehr von.

Das Schlimmste daran: Meine Vorfreude auf die nächsten Bethesda-Spiele hat 'nen ordentlichen Dämpfer bekommen. The Elder Scrolls VI kann meinetwegen noch eine ganze Weile auf sich warten lassen. Ich hab es nicht mehr eilig, das zu spielen.
Posted November 17, 2023. Last edited November 27, 2023.
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28.8 hrs on record (12.2 hrs at review time)
"Cut off their limbs!"
Ein Singleplayer-Spiel von EA, das kein schamloser Cash-Grab ist und bei Release auch noch funktioniert? Da wird doch glatt der Necromorph im Weltall verrückt!

Die TL;DR-Fassung zuerst: Dead Space war 2008 bereits einer der Survival-Horror-Titel schlechthin und dieses Remake behält doch tatsächlich quasi alles, was am Original bereits großartig war und verbessert nebenbei noch all das, was schon vor 15 Jahren nicht wirklich gut funktioniert hatte. Zumindest im Sale würde ich das Ding hier jedem – egal ob Neueinsteiger oder Serienveteran – uneingeschränkt empfehlen. Prinzipiell auch schon sofort – je nachdem eben, ob Ihr für ein lineares Spiel von ca. 14 Stunden 60 Euro ausgeben wollt.

Story
So hatte sich Isaac Clarke das Wiedersehen mit seiner Freundin Nicole sicher nicht vorgestellt: Der Mechaniker wird von einem Notrufsignal des riesigen Bergbauschiffes USG Ishimura gerufen, auf dem Nicole als Ärztin stationiert ist. Dort angekommen, entpuppt sich die Routine-Reparatur-Mission schnell als waschechter Horrortrip: Die Ishimura gibt kein Lebenszeichen von sich und nach kurzer Zeit werden Isaac und seine Gefährten von missgestalteten Monstern, den Necromorphs angegriffen...

Es ist vermutlich keine große Überraschung, aber die Story von Dead Space ist wie das meiste im Horror-Genre nicht wirklich originell und auch nicht die Stärke des Spiels. Die Frage, was zur Hölle auf der Ishimura vorgefallen und was mit Nicole passiert ist, schafft es aber letztendlich doch problemlos, einen bis zum Abspann bei der Stange zu halten.

Leveldesign
Die Ishimura hebt sich eigentlich in keinster Weise von den klassischen Sci-Fi-Interieurs ab, die man schon hundert Mal gesehen hat: Überall sind die obligatorischen stumpfen Winkel, leuchtende Displays, gerne auch mal schwarz-gelbe Schraffierungen – für kein anderes Setting wie die Science-Fiction gilt in Sachen Design: "Kennste' eine, kennste' alle." - so auch bei Dead Space. Wer es nicht kennt: Sucht auf YouTube mal "Rant mit Trant", dann wisst ihr genau, was ich meine.

Wenn man sich (wie ich) von solchen Klischees aber nicht stören lässt, ist das allgemeine Spielwelt-Design von Dead Space trotzdem super. Die Ishimura, die ja nicht nur ein Bergbauschiff, sondern gleichzeitig eine riesige Wohnstation für an die 1000 Menschen ist, ist zum einen im Remake unheimlich liebevoll gestaltet – mit wahnsinnig vielen kleinen Details überall. Und zum anderen schickt einen Dead Space im Laufe des Spiels wirklich durch die ganze Station. So bekommt man nicht nur Labore und Maschinenräume, sondern eben z.B. auch eine Cafeteria und Toilettenräume und natürlich auch immer wieder das Weltall in kleineren Schwerelosigkeits-Sektionen zu Gesicht. Dead Space bietet hier immer genug Abwechslung, um nicht langweilig zu werden.

Gameplay
In Dead Space spielen wir keinen Welten rettenden Superhelden, sondern den Techniker Isaac Clarke. Einen ganz normalen Typen, der außer dem Reparieren von allerhand Maschinen eigentlich gar nicht so wahnsinnig viel kann. Dementsprechend sieht auch das Waffenarsenal aus: Es gibt zwar auch ein Lasergewehr (was im Übrigen für mich die vermutlich unbrauchbarste Waffe des Spiels war), aber die meisten "Knarren", die wir auf dem Weg durch die Ishimura finden, sind tatsächlich einfach nur zweckentfremdete Werkzeuge – der gute alte Plasmacutter zum Beispiel – der eigentlich nur ein Mineralienschneider, also ein Bergbauwerkzeug ist. Oder der "Ripper" – eine klassische Kreissäge, die sich natürlich auch perfekt zum Zerlegen von Necromorphen eignet. ;)

Nach und nach schaltet man dann noch einige nützliche Abilities frei, wie z.B. die Stase, mit der man Gegner und Gegenstände kurzzeitig verlangsamen kann oder die Kinese, mit der sich sich Gegenstände aus der Entfernung heranziehen und wegschleudern lassen.

Außerdem stellt Dead Space die klassische "Shoot 'em in the head!"-Prämisse von allem, was mit Zombies zu tun hat, gehörig auf den Kopf. Hier lautet die Devise: "Cut off their limbs!". Statt auf den Kopf schießt man hier also auf die Gliedmaßen von all den Viechern, die einem ans Leder wollen. So macht man diese bewegungsunfähig und erledigt sie dann durch ein beherztes Zerstampfen mit Isaacs Bauarbeiterlatschen endgültig. Das hat damals schon einen Heidenspaß gemacht und ist 2023 ekliger und lustiger denn je.

Im Laufe des Spiels findet man dann "Knoten", mit denen man Waffen und seinen Anzug (Trefferpunkte, Sauerstofftank für All-Spaziergänge etc.) upgraden kann. Anders als in den meisten Survival-Horror-Spielen gibt es hier aber keine nennenswerte Rohstoffknappheit: Man findet grundsätzlich viel Munition und kann auch an überall im Spiel befindlichen Shops bei Bedarf noch mehr gegen in den Levels gefundene Credits eintauschen. Die Schwierigkeit lässt sich dabei zwischen vier verschiedenen Abstufungen frei wählen.

Grafik
So schön sah Dead Space tatsächlich noch nie aus (riesen Neuigkeit, ich weiß...). Aber Spaß beiseite: Optisch ist das Remake absolut fantastisch: Die Frostbite-Engine zaubert hier durchweg grandiose Lichteffekte auf den Bildschirm, die Texturen sind (in 4K) knackscharf, die Charaktermodelle super und die Animationen machen auch einen runden Eindruck. Hier gibt es echt gar nix zu meckern.

Sound
Gleiches gilt für das Sounddesign. Das war 2008 im Original schon seiner Zeit Lichtjahre voraus und das Remake setzt hier nochmal einen drauf. Die charakteristischen Sounds von damals wurden weitestgehend übernommen, klingen hier aber so gut wie nie zuvor und die allgemeine Geräuschkulisse ist bedrohlicher denn je – mit lärmenden Monstern, die man bereits von weitem über, unter und neben sich hört, Schreien und flüsternden Stimmen, die aus den Lüftungsschächten zu kommen scheinen und einer großartig bedrückenden Stille, wenn man einmal in ein schwereloses Areal kommt. Auch die Vertonung der Figuren ist super (zumindest auf Englisch, Deutsch habe ich nicht ausprobiert). Ach, und Isaacs sprachliches Repertoire umfasst nun auch mehr als gequälte Schmerzensschreie und angestrengtes Grunzen.

Bugs
Hier kann ich mich kurz fassen: Es gibt keine. Ich hatte in meinem Spieldurchlauf lediglich an einer Stelle eine kurze ungewollte Slapstick-Einlage, als ein totes Monster wild durch 'ne Tür clippte und dabei Jim Carrey-mäßig Grimassen schnitt, das war auch schon alles. Aber wie immer bei Videospielen: Your mileage may vary.

Dauer und Wiederspielbarkeit
Mit Nebenmissionen ist man mit Dead Space ungefähr 12-14 Stunden beschäftigt. Darüber hinaus gibt's abgesehen von einem geheimen Ende im New Game+ Modus nichts mehr zu sehen.

In Zahlen:
Writing
Story: 7/10
Charaktere: 7/10

Technik und Atmosphäre
Leveldesign (Optik) 8/10
Grafik: 10/10
Sound 10/10

Gameplay
Leveldesign: 8/10
Balancing: 5/5
Bedienung 10/10
Waffenarsenal und Fähigkeiten 9/10
Gegner-KI 5/5
Umfang: 7/10

Insgesamt 86/100

Wie eingangs bereits beschrieben: Dead Space (2008) war schon ein wirklich tolles Spiel und Dead Space (2023) macht noch einmal so ziemlich alles besser. Wenn ihr mit Survival-Horror etwas anfangen könnt, gibt es keinen Grund, sich Dead Space nicht früher oder später anzusehen. Und auch, wenn Horrorgames eigentlich nicht euer Ding sind, könnte es sich unter Umständen trotzdem lohnen, das Spiel einmal auszuprobieren – vielleicht ändert ihr eure Meinung ja. Denn glaubt mir, Dead Space ist wirklich so gut.

Erst Jedi: Fallen Order und jetzt Dead Space – wenn es so weitergeht, dann fällt es mir bald echt nicht mehr leicht, EA ganz furchtbar doof zu finden.
Posted February 2, 2023. Last edited November 22, 2023.
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238.5 hrs on record (33.1 hrs at review time)
Die bisher beste Version der vielleicht besten Trilogie aller Zeiten
Als einer der größten Mass Effect-Fanboys unter der Sonne war die Ankündigung der Legendary Edition für mich sowas wie Weihnachten, Ostern und der Beginn der Semesterferien zusammen. Auch wenn ich in der Regel von Remasters nicht sonderlich viel halte, war das für mich ein absoluter No-Brainer: Das Ding musste ich haben. Also hab ich – obwohl ich die Trilogie schon zig mal durchgespielt habe – prompt zugeschlagen. Und nach 33 Stunden kann ich sicher sagen: Für mich war es das absolut wert. Aber lohnt sich die Legendary Edition auch für alle anderen?

Was ist anders?
Eine kleine Entwarnung direkt vorab: Das hier ist kein Mass Effect: Reforged geworden. BioWare hat hier weit mehr gemacht, als einfach nur faul die Auflösung hochzuskalieren (und abgesehen vom ME3-Multiplayer wurden auch keine Features gestrichen). Besonders der nicht wirklich gut gealterte erste Teil wurde stark modernisiert. Die Umgebungen wurden durch viele kleine Details erweitert, die Charaktermodelle detaillierter ausgearbeitet, viele Bugs wurden gefixt und die Kämpfe sind dank verbessertem Trefferfeedback jetzt deutlich wuchtiger.

Richtig „modern“ fühlt sich Mass Effect 1 aber immer noch nicht an, denn die Legendary Edition ist auf der anderen Seite eben auch kein Remake. Unter dem ganzen neuen Lack befindet sich also noch immer das gleiche alte Spiel. Die furchtbare deutsche Sprachausgabe des ersten Teils ist z.B. unverändert geblieben und auch mit „neuer“ Steuerung ist der Mako keine Need for Speed-Bolide geworden. In den Nachfolgern sind die Änderungen dann noch deutlich subtiler. Ganz ehrlich: Ohne Vergleichsvideos hätte ich keinen wirklich nennenswerten Unterschied bemerkt.

Gleichzeitig gibt es auch einige kleinere Ärgernisse: So hat man zum Beispiel in den Optionen keine nennenswerten Möglichkeiten zur detaillierten Anpassung der Grafik oder des FOVs und man kann die Sprache der Dialoge und Texte nicht separat ändern. Das heißt, wenn ihr – wie ich – das Spiel auf Englisch mit deutschen Texten spielen wolltet: Nö. Geht nicht. Das ist jetzt alles nicht wirklich tragisch, hätte aber eben auch besser sein können.

Fazit zum Remaster
Trotz kleinerer Probleme ist das hier definitiv die bisher beste Version der Mass Effect-Trilogie geworden. Wenn ihr die Serie noch nie gespielt habt und es aber immer einmal nachholen wolltet, dann ist jetzt auf jeden Fall die beste Gelegenheit. Für 60 Euro bekommt ihr hier alle drei Rollenspiele mit all ihren DLCs in einem aufgehübschten und modernisierten Gesamtpaket.

Jeder, der die drei Spiele aber ohnehin schon sein Eigen nennt, sollte eher auf einen Sale warten – die vorgenommenen Änderungen rechtfertigen, wenn ihr nicht gerade ein riesiger Fan seid, nämlich keinen erneuten Kauf. Zumindest nicht für 60 Euro.

Zur Trilogie im Allgemeinen
Der Rest des Geschwafels hier ist für jeden, der Mass Effect noch nie gespielt hat. Alle anderen können also jetzt aufhören zu lesen. ;)

Mass Effect war damals BioWares Versuch, nach Star Wars Knights of the Old Republic ein Sci-Fi-RPG in einem eigenen Universum zu entwerfen. Das Ergebnis ist eine Trilogie geworden (die trotz eines enttäuschenden Endes) für viele (mich eingeschlossen) als eine der beste RPGs aller Zeiten gilt.

Story und Charaktere
Seit Milliarden von Jahren steckt die Galaxie in einem Zyklus der Vernichtung. Alle 50.000 Jahre geschieht es und sie erscheinen: die Reaper. Riesige, intelligente Maschinen, die alles intelligente Leben auslöschen. Durch einen Zufall erfährt ein Commander der Menschen (Shepard) davon und versucht verzweifelt, diesen alles vernichtenden Kreislauf zu durchbrechen. Auf dem Weg dorthin stellt uns das Spiel ständig vor teils extrem knifflige Entscheidungen, die weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. Unsere Handlungen bestimmen über den Verlauf von Kriegen, das Leben von Figuren (auch unserer Mitstreiter) und vieles mehr. Dank Savegame-Import übrigens auch spielübergreifend. Zahlreiche Entscheidungen des ersten und zweiten Teils wirken sich beispielsweise auch auf den dritten aus. Dadurch fühlt sich jeder Spieldurchlauf unheimlich persönlich an. Man hat das Gefühl, dass man selbst den Verlauf der Handlung mitbestimmt (was natürlich nur bedingt zutrifft, einige Fixpunkte der Handlung sind immer gleich). Aber Achtung: Das Spiel ist hier absolut gnadenlos. Eine unbedarfte Handlung kann z.B. im späteren Verlauf dazu führen, dass ein geliebter Begleiter plötzlich das Zeitliche segnet!

Das Ende der Trilogie ist leider enttäuschend (habt ihr bestimmt auch schon mitgekriegt, wenn ihr Internet habt), allerdings ist der Weg dorthin derart fantastisch, dass sich diese Reise trotzdem unglaublich lohnt!

Die Figuren sind dabei – selbst für BioWare Verhältnisse fantastisch geschrieben und wachsen einem sofort ans Herz. So sind es insbesondere auch die ruhigen Momente der Handlung, in denen man sich einfach nur mit seinen Begleitern unterhält, die ein ganz großes Highlight der Trilogie darstellen.

Gameplay
Mass Effect spielt sich wie ein Deckungsshooter mit RPG-Elementen. Zu Beginn des Spiels wählt man eine von verschiedenen Klassen, dann erledigt man Quests, sammelt Erfahrungspunkte, steigt Level auf und erlernt bzw. verbessert Talente. Das alles jeweils in einem Squad von drei Personen. Man selbst steuert seine Spielfigur (Shepard) und kann gleichzeitig zwei Begleitern im Kampf Befehle erteilen. Im ersten Teil gibt es dann noch ein umfangreiches Item-System, das in den Nachfolgern aber gestrichen wurde. Jede der zahlreichen Kampffähigkeiten, die es zu erlernen gilt, ist dabei spaßig und mehr oder weniger sinnvoll.

Das Gameplay ist insgesamt zwar ganz nett, aber nicht überragend gut. Letztendlich sind die Geschichte und ihre Figuren der Star von Mass Effect und nicht die Ballereinlagen. Jeder „echte“ Shooter macht die Feuergefechte zum Beispiel deutlich besser als Mass Effect.

Grafik, Sound und Spielwelt
Es gibt keine offene Spielwelt, dafür aber viele kleinere, liebevoll gestaltete und sehr abwechslungsreiche Areale.

Auch heute noch sehen die Spiele (vor allem in dieser Version) trotz mittlerweile wirklich uralter Unreal Engine 3 echt ordentlich aus. Die neuen Texturen und Charaktermodelle sind sehr detailliert und die meisten Effekte gehen auch in Ordnung. Wer BioWare kennt, weiß aber, dass man auch hier nicht zu viel Aufmerksamkeit auf die Gesichtsanimationen richten sollte...

Der Sound ist insgesamt auch gut. Wie schon angesprochen ist die deutsche Version des ersten Teils furchtbar, die Synchronisation der Nachfolger ist aber deutlich besser. Die Waffensounds und der Soundtrack sind ebenfalls richtig gut. Ein Problem sind aber die Umgebungsgeräusche: Häufig fehlt es den Spielen an Soundsamples, die im Hintergrund ablaufen, was hin und wieder dazu führt, dass belebte Regionen seltsam still werden.

Umfang
Ihr bekommt hier für eure 60 Euro einen ordentlichen Haufen Content geboten. Ein Spieldurchlauf dauert für ein Spiel mit DLCs jeweils locker 30 Stunden. Komplettierer können also für die Trilogie gut und gerne 90-100 Stunden einplanen. Darüber hinaus lohnt sich wegen der zahlreichen Entscheidungen und ihrer Konsequenzen bei Mass Effect auch ein zweiter und dritter Durchlauf – mehr als bei jedem anderen RPG, das ich kenne.

In Zahlen
Writing
Charaktere 10/10
Story 10/10
Nebenquests 10/10

Technik und Atmosphäre
Spielwelt 8/10
Grafik 7/10
Sound 7/10

Gameplay
Balancing 5/5
Kampfsystem 3/5
Waffenarsenal und Fähigkeiten 4/5
Skill- und Charaktersystem 4/5
Wiederspielbarkeit 10/10
Umfang 10/10

Insgesamt: 88/100

Wer Rollenspiele und Sci-Fi mag, wird Mass Effect garantiert lieben. Das hier ist in meinen Augen definitiv der bislang beste Versuch gewesen, beides miteinander zu kombinieren. Ich bin zwar nicht Commander Shepard, aber das ist trotzdem mein Lieblingsspiel auf Steam!
Posted May 17, 2021. Last edited May 17, 2021.
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186.1 hrs on record (87.5 hrs at review time)
Nicht perfekt, trotzdem breathtaking!
Da ist es also endlich. Nach einer gefühlten Ewigkeit in Entwicklung und ca. einhundert Verschiebungen ist das wohl meisterwartete Rollenspiel der letzten zehn Jahre endlich erschienen. Jetzt lautet natürlich die große Frage: Kann Cyberpunk 2077 seinem unfassbaren Hype und den unendlich großen Erwartungen gerecht werden? Die Antwort ist für mich ein klares „nein“. Aber trotzdem ist es ein tolles Spiel geworden.

Story und Charaktere
Wir spielen V, eine/n Söldner/in, der/die es in der Unterwelt der Metropole Night City zu etwas bringen will und dafür Jobs erledigt. Diese zunächst wenig originelle Aufstiegsgeschichte entwickelt sich aber schnell wegen einer Reihe unvorhergesehener Ereignisse (die ich selbstverständlich nicht verraten werde) zu einer der besten Videospiel-Stories, die ich bisher spielen durfte. Das Writing und die Inszenierung der Geschichte und ihrer Figuren ist absolute Spitzenklasse. Hier liegt eine von Cyberpunks ganz großen Stärken. Das Spiel fesselt euch gebannt vor Spannung vor den Bildschirm, bringt euch zum lachen und kann an einigen Stellen auch überraschend traurig werden. Und auch die Nebenquests sind beinahe ausnahmslos so fantastisch geschrieben, dass man nie das Gefühl hat, hier wie in einem Ubisoft-Spiel einfach nur mit Arbeit beschäftigt zu werden. Außerdem stecken sowohl Story als auch Nebenquests voller (teilweise echt subtiler) Entscheidungen, die Einfluss auf das Ende nehmen.

Spielwelt
Neben dem Writing ist die Spielwelt die zweite große Stärke von Cyberpunk 2077. Night City ist eine wahnsinnig glaubwürdige futuristische Stadt. Die Spielwelt ist unwahrscheinlich detailliert, wunderschön gestaltet und voller charakteristischer Gegenden und Stadtviertel, die sich deutlich voneinander unterscheiden.
Sie ist aber leider nicht übermäßig interaktiv oder reaktiv. Die meisten Gebäude z.B. sind nicht betretbar und man kann nur mit wenigen Dingen innerhalb der Welt interagieren. Wer also auf haufenweise Minispiele wie in GTA gehofft hat, der wird enttäuscht. Die Welt ist mehr eine Kulisse für die tolle Story (ähnlich wie schon im Witcher) als ein interaktiver Spielplatz. Man findet aber überall kleine Details, wie zum Beispiel Nachrichten oder kleine Gespräche, die man mithören kann – dadurch wirkt sie immer sehr lebendig.

Gameplay
Verglichen mit der Witcher-Serie bietet Cyberpunk ein überraschend tiefes Rollenspielsystem. Es gibt eine komplexe Charakterentwicklung mit zahlreichen Skilltrees und Attributen, die das Spiel zu einer sehr umfangreichen Sandbox mit verschiedenen Vorgehensweisen (Nahkampf, Schusswaffen, Stealth, Hacking etc.) macht.
Diese einzelnen Mechaniken sind für sich betrachtet alle nicht perfekt, das Spiel ist aber mehr als die Summe seiner Teile. Jede Vorgehensweise ist gut genug, um Spaß zu machen und dabei hat zumindest mich es überhaupt nicht gestört, dass die Schusswaffen in manch einem reinen Shooter deutlich wuchtiger und das Schleichen z.B. in einem Dishonored deutlich intuitiver sind. Ergänzt werden die gewählten Skills dann noch von Cyberware-Items, die die unterschiedlichen Spielstile perfekt unterstützen und teilweise sehr stark beeinflussen können. Der restliche Loot ist dafür aber erschreckend unspektakulär. Sowohl Kleidung als auch Waffen sind nichts beeindruckendes. Spannende Itemsuche im Stile eines Diablos gibt es hier nicht. Ein weiteres Problem des Loots ist noch, dass es bisher kein Transmog-System gibt, was zur Folge hat, dass man (vorausgesetzt, man will immer die besten Items tragen) ständig wie eine wandelnde Altkleidersammlung aussieht – Hotpants kombiniert mit taktischer Kampfjacke sind keine Seltenheit.
Das Balancing des Spiels ist ebenfalls noch nicht perfekt: Ich selbst habe in meinem Spieldurchlauf permanent zwischen normal und schwer hin- und hergeschaltet, weil mir normal oft zu leicht, schwer allerdings zu schwierig wurde. Ideal wäre eine Zwischenstufe gewesen.

Grafik und technischer Zustand
Zuerst ein Wort zur Technik: Die massiven Bugs und Performanceprobleme, von denen überall im Internet gesprochen wird, kann ich persönlich nicht bestätigen. Ich habe das Spiel mit einem AMD Ryzen 7 3700x und einer NVIDIA GTX 1070 in 1080p auf ultra Einstellungen (ohne Raytracing) annähernd flüssig auf immerhin ca. 40 FPS spielen können. Auch Bugs hielten sich in Grenzen: Gamebreaker und Abstürze hatte ich keine. Lediglich kleinere Grafikglitches wie Clipping-Fehler etc. traten hin und wieder auf. Das Spiel ist auf dem PC beileibe nicht fehlerfrei, aber weit von einem unspielbaren Bug-Fiasko entfernt. Vielleicht hatte ich aber auch einfach nur Glück.

Auch ohne Raytracing war ich von der Optik des Spiels wirklich beeindruckt. Die Texturen waren weitgehend scharf, die Lichteffekte sehr schön, die Charaktermodelle detailliert und die Animationen flüssig. Über die Grafik kann ich mich also kein bisschen beschweren.

Sound
Der Sound spielt in der obersten Liga. Alle Figuren sind auf Deutsch wie auf Englisch erstklassig vertont, die Umgebungsgeräusche Night Citys sind glaubwürdig, die Waffen haben Wumms und der Elektro-Soundtrack ist auch super. Außerdem gibt es ähnlich wie in der GTA-Serie auch noch eine ganze Palette von Ingame-Radiosendern, die die Spielwelt bereichern.

Umfang
Wenn ihr nur die Story durchspielt und alles optionale ignoriert, könnt ihr – und jetzt nicht erschrecken – mit Cyberpunk in 20 Stunden durch sein. Das Spiel stellt also ganz bewusst einen Gegenentwurf zu den zahllosen Open-World Spielen der heutigen Zeit dar, die einen hundert Stunden dauernden Grind vom Spieler erwarten. Die Story dauert genau so lange, wie sie dauern muss und wirklich keine Minute länger und ich finde das fantastisch.
Aber keine Sorge: Wer viel Zeit in Night City totschlagen will, kann das selbstverständlich trotzdem tun. Mit den wichtigsten Nebenquests verdoppelt sich die Spielzeit und wenn ihr wirklich alles im Spiel erledigen wollt, werdet ihr euch auch 80 Stunden oder mehr beschäftigen können. Außerdem hat das Spiel durch seine verschiedenen Enden und Entscheidungen einen großen Wiederspielwert.

In Zahlen
Writing
Story 10/10
Charaktere 10/10
Nebenquests 10/10

Technik und Atmosphäre
Spielwelt 10/10
Grafik 9/10
Sound 10/10

Gameplay
Balancing 3/5
Kampfsystem 3/5
Waffenarsenal und Loot 2/5
Skill- und Charaktersystem 4/5
Wiederspielbarkeit 10/10
Umfang 9/10

Insgesamt: 90/100

Cyberpunk 2077 ist nicht der Messias der Videospiele geworden, den so viele da draußen sich gewünscht haben. Die große Revolution, die das Medium für immer verändern wird, ist ausgeblieben. Aber waren solche Erwartungen an das Spiel denn überhaupt fair und ansatzweise realistisch? Auch wenn es dem Hype nicht gerecht wird und einige Schwächen hat, ist Cyberpunk ein fantastisches Rollenspiel mit gutem Charaktersystem, einer todschick designten Spielwelt und einer atemberaubend gut geschriebenen Handlung geworden. Ohne mich weit aus dem Fenster zu lehnen, bin ich mir ziemlich sicher, dass - wenn überhaupt - nur wenige RPGs der nächsten Jahre tatsächlich besser sein werden als Cyberpunk.

Wenn ihr keine lebensverändernde Offenbarung, sondern einfach nur ein in fast allen Disziplinen wirklich sehr gutes oder sogar herausragendes Rollenspiel erwartet, dann garantiere ich euch, wird Cyberpunk 2077 euch nicht enttäuschen. Ich beneide jedenfalls alle, die dieses Spiel noch vor sich haben, denn der Abspann und die Gewissheit, dass es nun vorüber ist, haben mich mit dem gleichen traurigen Gefühl zurückgelassen, das ich z.B. hatte, als ich mit damals 14 Jahren den Epilog des letzten Harry Potter Buchs abgeschlossen oder nach „Blood and Wine“ von einem gewissen Hexer Abschied genommen hatte. Von dieser Welt und ihren Bewohnern hätte ich einfach gerne noch viel mehr gesehen. Und ich glaube, euch wird es ähnlich gehen.
Posted December 21, 2020. Last edited January 3, 2021.
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34.4 hrs on record
Vollkommen hirnlose, aber trotzdem spaßige Schießbude
Wenn ich Far Cry 5 mit zwei Worten beschreiben müsste, würde ich „verschenktes Potenzial“ sagen. Es ist wirklich fast tragisch, wie gnadenlos das Spiel die Möglichkeiten seines Settings durch saudummes Writing fast völlig vor die Wand fährt. Ich muss aber gestehen, dass ich trotzdem echt Spaß damit hatte – daher zeigt der Daumen auch nach oben.

Story und Charaktere
Wir sind der „Rookie“, ein namenloser Deputy eines Sheriffs in Hope County, Montana, wo wir versuchen, den Sektenführer Joseph Seed zu verhaften. Der hat mit seiner Bande „Eden's Gate“ nämlich von den Behörden unbemerkt mal eben ein größeres Waffenarsenal als Nordkorea zusammengeklaubt, den ganzen County erobert und regiert dort mit Gewalt, während er sich auf den „Kollaps“ vorbereitet. Die Verhaftung geht natürlich schief und abgeschnitten von jeglicher Verstärkung liegt es jetzt an uns, einen Widerstand zu organisieren und die verrückten Hinterwelter-Prepper zu vertreiben.
Die durchaus interessante Sekten-Prämisse des Spiels verkommt leider völlig zu einem „Einer-gegen-alle“-Action Szenario, das plump und unglaubwürdig erzählt wird. Zum Beispiel wird die Hauptfigur drölfmillionen Mal entführt, um sich dann bedeutungsschwangere Reden anzuhören und wieder zu fliehen oder man muss allen Ernstes gegen unter Drogen stehende Zombies kämpfen (kein Witz!). Wenn ihr Videospiele vor allem wegen ihrer Story spielt, dann geht weiter – hier gibt es wirklich nicht viel zu sehen.

Das Writing der im Spiel auftauchenden Figuren ist leider auch nicht besser. So ziemlich jeder Begleiter oder Gegner ist ein einziges wandelndes Klischee und furchtbar eindimensional. Jaja, schon klar: Satire und so. Aber ganz ehrlich: Ein GTA z.B. macht das einfach deutlich besser. Die diesmal stumme Hauptfigur hat so viel Persönlichkeit wie ein Goldfisch und die Sekte, um die es im Spiel geht, ist so billig, dass man fast weinen möchte. Was gefährliche Sekten normalerweise ausmacht, ist die brillante Rhetorik und die falschen Versprechungen ihrer charismatischen Anführer, mit denen emotional Schwache geschickt verführt werden. Hier haben wir aber nur einen Haufen Spinner, die Angst vor dem Weltuntergang haben. Die Clowns haben von Ubisoft wirklich keinerlei Tiefe bekommen, was eine verdammte Schande ist, wenn man mal kurz darüber nachdenkt, was für ein Potenzial diese Thematik eigentlich gehabt hätte.

Grafik, Sound und Spielwelt
Die Grafik des Spiels ist auch heute immer noch ordentlich. Far Cry 5 hat eine gute Weitsicht, eine schöne Lichtstimmung und insgesamt auch recht detaillierte Charaktermodelle (unwichtige NPCs haben hier aber auch oft unerwartete Zwillingsbrüder und -schwestern). Auch die Animationen sind in Ordnung.

Beim Sound gibt es ebenfalls nichts zu meckern. Die Figuren sind alle (auch auf Deutsch) echt gut vertont, die Waffen klingen druckvoll und der Soundtrack – der übrigens überraschend ruhig für so eine Ballerbude daherkommt – ist so gut, dass ich ihn auch schon mehrmals außerhalb des Spieles gehört habe. Dazu kommen noch zahlreiche Gospel-Songs der Sekte, die man im Spiel im Radio hören kann. Ein nettes kleines Detail.

Die Spielwelt – ohnehin eine von Ubisofts großen Stärken – ist hier auch wieder fantastisch. Hope County fängt die Stimmung der Landschaft Montanas perfekt ein. Es gibt weitläufige Wälder, große Seen und majestätische Berge. Und überall trifft man auf verschiedenste Tiere. Die kleinen Siedlungen und Häuser der Welt sind unheimlich detailliert gestaltet und genau so, wie man sich Käffer irgendwo im amerikansichen Nirgendwo vorstellt. Wenn hier kein verrückter Kult wüten würde, wäre es glatt ein traumhaftes Urlaubsparadies.

Gameplay
Hier bekommt man genau das Gameplay, was man erwartet, wenn man schon mal ein Ubisoft-Spiel von weitem gesehen hat: 'ne Open-World randvoll gefüllt mit immer ähnlich bis gleich ablaufenden Nebenmissionen (Gegner in einem Areal töten, Rennen fahren, Verfolgungen), Nebenaktivitäten (Basis erobern, Verstecke durchsuchen etc.) und Checklisten mit Sammelkram (Tierfelle, Fische usw.). Auch Far Cry 5 artet also ab einem gewissen Punkt wieder in Arbeit aus. Wer sich also in der Hinsicht etwas spannendes und neues erhofft hat: Nö. Far Cry 5 ist wieder mal ein ganz typisches Ubisoft-Spiel. Nur die bescheuerten Klettertürme haben sie sich dieses Mal gespart.
Positiv überrascht war ich aber vom Gunplay: Das Waffenarsenal ist echt umfangreich und jede Waffe des Spiels fühlt sich nicht total überragend, aber wirklich gut an. Auch die zahlreichen Fahrzeuge haben endlich mal eine halbwegs vernünftige Fahrphysik spendiert bekommen und die Helikopter und Flugzeuge steuern sich ungeheuer einfach und intuitiv. Abgesehen vom zu gleichförmigen Missionsdesign macht Ubisoft hier überraschend viel richtig und präsentiert unterm Strich ein wirklich rundes und sehr spaßiges Spielgefühl. Die Gegner sind aber nicht die hellsten Kerzen auf der Torte.

Umfang
Über den Umfang kann man sich auch nicht beschweren: Je nach Spielertyp dauert das Spiel ca. 20-40 Stunden – je nachdem eben, ob man der inneren Zwangsneurose nachgibt und jeden Stein umdreht oder sich ganz doll beeilt, weil man keine Lust auf Nebenaufgaben und Sammelkram hat. Wenn man gar keinen Bock hat zu spielen oder zu sehr von der Sekte eingeschüchtert wird, kann man übrigens auch nach ca. 10 Minuten schon den Abspann sehen.

In Zahlen:
Writing
Story: 2/10
Charaktere: 2/10

Technik und Atmosphäre
Spielwelt 10/10
Grafik: 8/10
Sound 10/10

Gameplay
Missionsdesign: 5/10
Balancing: 4/5
Bedienung 8/10
Waffenarsenal und Fähigkeiten 9/10
Gegner-KI 2/5
Umfang: 10/10

Insgesamt 70/100

Far Cry 5 ist ein strunzdummes Klischeefeuerwerk von einem Spiel. Es will gesellschaftskritisch sein, verliert sich aber nur in platten Stereotypen, statt mal wirklich etwas Substanzielles (wie z.B. zivilen Waffenbesitz) zu thematisieren. Es will überraschend sein, präsentiert einem aber nur vollkommenen Unsinn und völlig unglaubwürdige Wendungen. Und zu allem Überfluss besteht das Gameplay nur aus der altbekannten Ubisoft-Formel: Auf Türme klettern Prepper-Verstecke nach nützlichem Kram durchsuchen, Stützpunkte erobern, Krempel sammeln. Das ist jetzt alles nicht wirklich spannend oder überzeugend.

Aber wenn man aufhört, das alles kleinlich zu hinterfragen, dann kann man mit Far Cry 5 auch wirklich Spaß haben. Die Geschichte ist – wenn auch nicht das intelligenteste Machwerk aller Zeiten – wirklich spektakulär inszeniert, das Gunplay ist echt befriedigend und die Open World wunderschön. Und nicht zu vergessen der Soundtrack... Der Soundtrack ist einfach phänomenal.

Ob euch das Spiel gefallen wird, hängt also letztendlich von eurer Erwartungshaltung ab. Wer eine clevere Story über religiösen Fanatismus erwartet, der wird enttäuscht. Wer gut geschriebene Charaktere mit Tiefe erwartet, der wird enttäuscht. Und wer abwechslungsreiches Gameplay erwartet, der - ihr ahnt es sicher schon - wird enttäuscht. Aber wer erwartet das auch schon bei Ubisoft?
Wer aber einfach mal abends nach Feierabend gemütlich das Hirn ausschalten und ein bisschen ballern oder in der Open World Chaos stiften will, der ist hier genau richtig. In Far Cry 5 kann man wunderbar bei schöner Kulisse und tollem melancholischem Soundtrack ein paar Sektenspinner über den Haufen schießen. Das alleine macht auch schon jede Menge Spaß.

TL;DR
Typisches AAA bzw. Ubisoft: Schöne Grafik, tolle Spielwelt, viel Bombast und Kawumm. Dafür repetitives Gameplay und die Story bleibt völlig auf der Strecke. Für nen Rabatt von ~75% ein guter Deal, Vollpreis eher nicht. Wenn Ubisoft mal etwas weniger wie Ubisoft gewesen wäre und sich mit Missionsdesign und Plot die gleiche Mühe gegeben hätte wie mit dem Soundtrack und der Spielwelt, dann hätte das hier ein echt großer Wurf werden können. So ist's halt leider nur ganz nett.
Posted September 8, 2020. Last edited March 3, 2021.
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119.5 hrs on record (25.6 hrs at review time)
Lustiger kann Battle Royale nicht mehr werden
Ich lasse die Katze mal direkt aus dem Sack: Trotz einiger Probleme liebe ich Fall Guys. So einen Spaß hatte ich mit keinem Multiplayer mehr, seit ich 2008 (?) zum ersten mal Team Fortress 2 gespielt hab. Ihr wisst schon: Daaaamals, als die Welt, TF2 und überhaupt alles noch so viel besser war als heute ;)
Aber der Reihe nach...

Was ist Fall Guys überhaupt?
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass ihr das Internet nur nutzt, um das morgige Wetter zu googlen oder nach Rezepten zu suchen und dementsprechend der Hype-Train mit Wucht an euch vorbeigefahren ist: Fall Guys ist eine dieser überdrehten, quietschbunten japanischen Gameshows, bei denen am Ende alle bis auf einen im Matsch landen – quasi Takeshi's Castle zum Mitspielen. Zusammen mit 59 anderen todesmutigen Egoisten stürzt ihr euch in ein Minispiel nach dem anderen, um am Ende als Sieger vom Platz zu gehen.

Gameplay
Wenn ihr einen anspruchsvollen Multiplayer sucht, in dem ihr Ranglisten aufsteigen, eure Taktik immer weiter verbessern und schließlich der beste Spieler Europas, der Welt oder Timbuktus werden wollt, dann sucht weiter. Fall Guys ist KEIN kompetitiver Multiplayer und will auch überhaupt keiner sein. Im Grunde haben wir es hier mit einem Partyspiel zu tun, das bis in die letzte Faser auf puren, unschuldigen und schnellen Multiplayer-Spaß ausgelegt ist.
Die Steuerung ist simpel: Eure Spielfigur kann nur laufen, springen, hechten und andere festhalten – das ganze funktioniert auch auf dem Gamepad extrem leicht und intuitiv. Die Minispiele, die euch erwarten, lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: Rennen, Überleben und Teamgames. Bei den Rennen müsst ihr euch durch einen von verschiedenen Hindernisparcours navigieren und vor einer bestimmten Anzahl Spieler das Ziel erreichen. Im Überlebensmodus steht ihr z.B. auf einer Plattform und müsst Blöcken ausweichen, bis eine bestimmte Menge Leute heruntergefallen ist. Und in den Teamgames werdet ihr zusammen mit den anderen in zufällige Teams gesteckt und müsst beispielsweise Fußball gegeneinander spielen. Insgesamt sind alle Spiele so intuitiv designed, dass man sofort weiß, was zu tun ist.
Klingt einfach, oder? Mitnichten. Durch die schiere Anzahl anderer Spieler, die ebenfalls gewinnen wollen, herrscht in jedem Spiel schnell Chaos. Als ich nach zig verlorenen Runden endlich zum ersten Mal die Krone in der Hand hielt, war ich so aufgeregt, dass ich von meinem Stuhl aufgesprungen und aufgedreht im Zimmer herumgelaufen bin. Frustrierend ist das Spiel aber gleichzeitig auch nicht: Weil es so wahnsinnig unterhaltsam ist, den anderen zuzuschauen und das Matchmaking wirklich sehr fix ist, kann man sich direkt in das nächste Turnier stürzen oder eben als Spectator den anderen Chaoten noch ein wenig beim auf die Nase fallen zuschauen. Mir persönlich war es bei keinem Multiplayer so egal zu gewinnen, wie bei Fall Guys. Hier ist definitiv der Weg das Ziel. Deswegen verstehe ich auch die Forderungen einiger nicht, die Teamgames zu streichen, weil man oft wegen des Teams verliert. Ist es so schlimm, mal nicht wegen der eigenen, sondern der Unfähigkeit anderer auszuscheiden?

Design
Fall Guys' Design ist einfach zum Liebhaben. Die Maps sind extrem bunt und simpel gestaltet und die Figuren sind knuffige, in verschiedenen Kostümen steckende Bohnen, die auch unheimlich lustige Geräusche machen. Generell verbreitet das Spiel mit seiner Optik einen unheimlichen Slapstick Faktor, wenn all diese Bohnen sich gegenseitig festhalten oder übereinander fallen. Und durch das Chaos, das aufgrund der Masse von Spielern stets herrscht, passieren dauernd lustige Dinge. Die abgedrehte Musik tut dabei noch ihr übriges. Das allein macht das Spiel schon extrem unterhaltsam.
Was für mich auch eine großartige Designentscheidung darstellt, ist die Abwesenheit einer Chat-Funktion: Die einzige Möglichkeit, mit Spielern zu kommunizieren, besteht über Emotes. Das ist zum einen super lustig und unbeholfen und beugt zum anderen sehr effektiv Toxizität vor.

Die Probleme
Wo so viel Licht ist, entstehen natürlich auch ein paar Schatten. Und die sind bei Fall Guys meiner Ansicht nach vier an der Zahl: Cheater, Serverprobleme, Mikrotransaktionen und fehlende Abwechslung.

1. Die Cheater
Ein in Multiplayern leidiges Thema und leider gibt es sie auch hier – sogar relativ häufig. In meinen knapp 25 Stunden Spielzeit habe ich schon ca. 10 andere Spieler gesehen, bei denen ich mir ziemlich sicher bin, es mit Cheatern zu tun zu haben. Schneller laufen, höher springen etc. Das wird aber meist in der ersten Runde bereits klar und ich für meinen Teil bin dann einfach immer raus gegangen und habe ein neues Spiel gesucht – dadurch hielt sich der Frust dann in Grenzen. Cheater sind aber zum jetzigen Zeitpunkt definitiv noch ein Problem.

2. Die Server
Vor allem in den ersten Tagen waren die Server noch sehr instabil. Die Entwickler haben schlicht nicht mit einem derartigen Erfolg gerechnet – wer kann ihnen das verdenken? Jedenfalls war in der Anfangszeit das Matchmaking häufig down oder man wurde auch wegen Verbindungsproblemen aus bereits laufenden Spielen geworfen. Das ist mir aber jetzt schon seit über einer Woche überhaupt nicht mehr passiert. Die Server sind lediglich noch ca. einmal täglich mal für 30-60 Minuten wegen Wartungsarbeiten nicht verfügbar, ansonsten läuft jetzt alles wirklich stabil.

3. Mikrotransaktionen
Ja, das böse M-Wort gibt es leider auch bei Fall Guys. Nach jeder Turnierteilnahme verdient ihr euch „Kudos“-Points, die ihr dann anschließend im Ingame-Shop für Kostüme eurer Figur eintauschen könnt. Für einen Sieg bekommt ihr außerdem eine zweite Währung: Kronen. Für Kronen lassen sich dann besonders coole Items freischalten.
Die erste Währung – also die Kudos-Points – könnt ihr aber auch für Echtgeld kaufen. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt zwar überhaupt nicht nötig, weil das Spiel diese mehr als großzügig ausschüttet und ihr bereits nach wenigen Stunden wirklich eine ganze Stange davon habt, aber trotzdem finde ich Mikrotransaktionen in einem Spiel einfach uncool. Außerdem könnte es natürlich sein, dass da in Zukunft noch an der Balancing-Schraube gedreht wird und man später die Points nicht mehr so schnell erspielen kann.
Ganz wichtig aber: Jede Art von freigeschalteten oder gekauften Items ist rein kosmetisch.

4. Fehlende Abwechslung
Das Spiel verfügt aktuell über 25 verschiedene Minispiele. Das klingt in der Theorie erst einmal nach relativ viel, heißt aber – wenn man berücksichtigt, dass ein Turnier bereits fünf Spiele umfasst – dass man im ungünstigsten Fall nach ungefähr fünf Spielen (die alle bis zum Ende nur maximal 15 Minuten dauern) – also einer guten Stunde bereits alle Spiele gesehen hat. Dazu kommt noch, dass die meisten Spiele auf eine bestimmte Runde beschränkt sind: So wird beispielsweise in der ersten Runde immer ein Hindernisparcours gespielt. Dadurch ist Fall Guys kein Spiel, das man etliche Stunden am Stück spielen kann – aber es ist definitiv eins, das man eben immer wieder für „zwischendurch“ mal ein paar Runden anwirft. Ich kann da natürlich nur für mich sprechen, aber bisher hat es sich nicht abgenutzt. Auch nach 25 Stunden habe ich immer noch großen Spaß daran, um die nächste Krone zu kämpfen.
Die Entwickler haben auch schon versprochen noch weitere Minigames nachzuliefern. Ob das eingehalten wird, muss man sehen.

Fazit
Fall Guys ist für mich 'ne solide 9 out of 10. Trotz einiger Mängel würde ich jedem empfehlen, sich das Ding zumindest im Sale mal anzuschauen – dass Fall Guys im Internet gerade der heißeste Scheiß seit Erfindung der Katzenvideos ist, kommt nämlich nicht ganz von ungefähr.

PS: Ihr müsst euch übrigens nicht allein ins Getümmel stürzen. Das Spiel unterstützt Gruppen von bis zu vier Leuten, die gemeinsam an einem Turnier teilnehmen. Denkt aber dran, dass es außerhalb der Teamgames hier keine Freundschaften gibt. ;)
Posted August 19, 2020. Last edited August 20, 2020.
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4
3
32.9 hrs on record (18.3 hrs at review time)
"Russ, what's the deal with the crowbar?"
Dass ich das noch erleben darf! 13 Jahre nach dem wohl schlimmsten Cliffhanger der Gaming-Geschichte gibt es endlich wieder ein neues Half-Life. Und ja, natürlich ist Half-Life: Alyx kein Half-Life 3. Aber es ist ein absolut fantastisches, an der Perfektion kratzendes Spiel. Und das nicht trotz, sondern gerade wegen seiner VR-Exklusivität.

Story und Charaktere
Fünf Jahre vor den Ereignissen aus Half-Life 2 kämpfen wir uns als Alyx Vance im Namen des Widerstandes gegen die Combine-Invasoren durch City 17. Bei einer Aufklärungsmission bekommen wir Wind von einer Superwaffe, die die Combine in einem Hochsicherheits-Vault verstecken – so ein Werkzeug könnte das Blatt für die Menschheit in diesem bereits verlorenen Krieg eventuell noch einmal wenden...
Angeleitet vom kauzigen Wissenschaftler Russel, mit dem wir über Funk in Kontakt stehen, machen wir uns also auf die Suche – die uns schließlich in die von Headcrabs und schlimmerem überrannte „Quarantänezone“ führt.
Jaja, ich weiß, was ihr jetzt denkt: Klingt, wie eine langweilige 08/15-Action-Handlung nach Schema F. Und die ersten Stunden ist sie das auch. Aber zum Ende hin steigert sie sich zu einem dermaßen wendungsreichen und spektakulären Finale, dass ich absolut sprachlos war – genau so muss ein Half-Life Titel enden!
Die meiste Zeit ist der Spieler alleine unterwegs und wird nur von Russel über Funk begleitet, aber an vereinzelten Stellen kommt es auch zu denkwürdigen Begegnungen mit anderen Figuren. Die Dialoge zwischen Russel und Alyx sind dabei super geschrieben – der alte Kauz ist unheimlich liebenswert.

Gameplay
Half-Life: Alyx erfindet zwar das Shooter-Rad nicht neu, setzt aber all seine Mechaniken wirklich nahezu perfekt um. Dass Alyx nicht mit einer „normalen“ PC-Umsetzung im Hinterkopf entwickelt wurde, sondern sich voll und ganz auf VR konzentriert, ist ein riesiges Glück. Die gesamte Spielwelt erreicht dadurch ein unfassbares Maß an Interaktivität – fast alles lässt sich aufheben und werfen. So kann man zahlreiche Gegenstände als Hilfsmittel in den Kampf einbinden: z.B. eine offene Tür als Schutzschild vor sich halten, während die andere Hand vorsichtig um die Ecke schießt etc., Deckung sucht man mit dem eigenen Körper, Nachladen funktioniert nicht mehr per Knopfdruck, sondern durch manuelles Herausholen eines Magazins und Entsichern der Waffe. Das mag alles keine riesige Neuheit im VR-Sektor sein, aber die Vielzahl an verschiedenen Steuerungsmechaniken ist mit einer derartigen Souveränität eingesetzt, dass man ins Staunen kommt.
Als Hommage an die gute alte Gravity-Gun bekommt man außerdem noch Gravitationshandschuhe, mit denen man ganz intuitiv Gegenstände zu sich heranziehen und fangen kann. Das Waffenarsenal, das dem Spieler zur Verfügung steht, besteht aus einer Pistole, einer Schrotflinte und einer Maschinenpistole, die sich allesamt nach und nach upgraden lassen und deren Handling sich super anfühlt. Als Kanonenfutter dienen wieder die üblichen Verdächtigen des Half-Life-Universums: Headcrabs, Combines und Ameisenlöwen. Außerdem noch einige neue Gegner, die ich nicht verraten möchte.
Man sollte bei Alyx aber keine reine Schießbude wie in Call of Duty und co erwarten: Das Spieltempo ist deutlich langsamer als bei den meisten Non-VR-Shootern: Rätsel- und Erkundungspassagen wechseln sich in angenehmem Rhythmus mit Ballereinlagen ab. Für diese Rätsel bekommt der Spieler ein Multitool zur Hand, mit dem sich Stromkreise manipulieren und Combinestationen hacken lassen. Das ist in eine coole Rätselmechanik eingebunden, die aber im Laufe des Spiels immer gleich bleibt.
Außerdem gibt es neben den Ballerkapiteln auch einen Survival-Horror-Abschnitt der Marke Outlast (Stichtwort: Jeff), der mir – ganz ohne Jumpscares – ordentlich die Pumpe hat rasen lassen. Im Ernst: Ich glaube, ich habe noch in keinem Spiel derartig unter Stress gestanden wie in diesem Kapitel. Stellenweise hatte ich richtig die Hosen voll und geflucht wie in einer Sendung aus dem RTL Nachmittagsprogramm. Ich muss vermutlich nicht erwähnen, dass ich es super fand.
Alyx steckt voller solcher „Wow-Momente“, von denen ich gerne mehr erzählen würde, aber ich will unbedingt Spoiler vermeiden.
Als Fazit kann ich hier aber sagen, dass all das ein derartig starkes „Mittendrin-Gefühl“ vermittelt, wie vermutlich in keinem anderen Spiel. So hab ich z.B. um ein Haar panisch aufgeschrien, als mich zum ersten Mal eine Headcrab angesprungen hat und bei einer Festnahme durch die Combine am Anfang des Spiels habe ich sofort instinktiv die Hände hochgenommen.

Grafik und Spielwelt
Half-Life: Alyx sieht absolut fantastisch aus. Das Spiel muss sich nicht vor modernen Non-VR-Titeln verstecken. Die Texturen sind knackscharf, die Lichtstimmung ist phänomenal, die Charaktermodelle sind sehr detailliert und selbst die Weitsicht – die Achillesferse von VR-Spielen – ist wirklich ordentlich.
Das Spiel schickt uns durch verschiedenste Areale der alten City 17: Wohnkomplexe; verwaiste, von seltsamer Alien-Flora überwucherte Quarantäne-Areale wie z.B. ein altes Hotel oder eine verlassene Destillerie; einen alten Zoo und vieles mehr. Alle Areale sind unheimlich stilsicher designed und strotzen nur so vor zahllosen liebevollen Details. So steht in einer alten Bar z.B. ein echtes, wirklich funktionierendes Klavier herum, an dem man spielen kann. Großartig!

Sound
Das Sounddesign ist absolute Spitze, denn das Spiel verfügt über einen wirklich perfekt umgesetzten 3D-Sound. Bei jedem Geräusch konnte ich genau orten, woher es kam. Die Umgebungsgeräusche sind vielfältig, die Waffensounds druckvoll und der elektronische Soundtrack sehr atmosphärisch.
Die Sprecher sind ausgezeichnet vertont, allerdings gibt es leider nur eine englische Sprachausgabe und zu allem Überfluss hab ich die Untertitel als derart störend empfunden, dass ich sie nach kaum einer halben Stunde abgestellt hab. Mit guten Englischkenntnissen sollte man aber kein Problem haben, der Handlung zu folgen. Für wen das aber ein K.O.-Kriterium darstellt, der sei hiermit gewarnt. Aber seien wir mal ehrlich: Die deutsche Lokalisation war bei Half-Life doch eh schon immer scheiße.

Umfang
Wenn man sich beeilt, braucht man für einen Spieldurchlauf ca. 8-10 Stunden. Ich gehöre eher zu der etwas gemächlicheren Sorte und hatte ungefähr 15 Stunden auf der Uhr, als der Abspann lief. Ich würde jedem raten, sich etwas Zeit mit dem Spiel zu nehmen – mir hat das Erkunden der Spielwelt und das Herumspielen mit der Physik-Engine und den Gegenständen, die überall herumliegen, nämlich genau so viel Spaß gemacht, wie das eigentliche Spiel. Wie der letzte Idiot Tauben aufzuscheuchen, indem man sie mit Flaschen bewirft, kann wirklich unheimlich befriedigend sein. ;)

In Zahlen:
Writing
Story: 9/10
Charaktere: 9/10

Technik und Atmosphäre
Spielwelt 10/10
Grafik: 10/10
Sound 10/10

Gameplay
Leveldesign: 10/10
Balancing: 5/5
Bedienung 10/10
Waffenarsenal und Fähigkeiten 8/10
Gegner-KI 5/5
Umfang: 8/10

Insgesamt 94/100

Ich bin restlos begeistert. Tatsächlich habe ich mir nur wegen Half-Life: Alyx überhaupt eine VR-Brille gekauft und das bereue ich kein bisschen. Ich bin mit nahezu unerfüllbaren Erwartungen an dieses Spiel gegangen, die sogar noch übertroffen wurden. Mir ist bewusst, dass ich mich gerade wie der allerletzte Fanboy anhören muss, aber Alyx war von der ersten bis zur letzten Minute eine derart großartige Erfahrung, dass es meiner Meinung nach ein Pflichtkauf für jeden VR-Brillen-Besitzer da draußen ist. Dieses Spiel ist auf jeden Fall die Blaupause, an der sich sämtliche VR-Shooter der nächsten Jahre messen lassen müssen. Und wer weiß, vielleicht ist es ja sogar der Startschuss einer groß angelegten Wiederbelebung der Half-Life Serie. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Posted July 28, 2020. Last edited November 26, 2021.
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2
4.1 hrs on record (1.7 hrs at review time)
Irgendwo zwischen Begeisterung und Ernüchterung
Als ich von THQs Plänen gehört habe, eins meiner absoluten Super-Duper-Lieblingsspiele von früher zu remaken, ist mir vor Freude fast ein Ei aus der Hose gefallen. Und die grundlegende Idee, diese alte Rollenspielperle in neuem Glanz erstrahlen zu lassen, finde ich auch unfassbar gut – deswegen zeigt der Daumen auch nach oben.

Allerdings habe ich leider auch einige Probleme mit dem, was ich gesehen habe. Und bevor jemand meckert: Natürlich weiß auch ich nostalgiegeblendeter Fanboy-Depp, dass Gothic sehr viele Macken hatte, die in einem heutigen Spiel einfach nicht mehr zeitgemäß wären. Und mir ist natürlich auch klar, dass das hier selbstverständlich nur eine Alpha von einer Alpha von einer Alpha ist und dementsprechend zahlreiche Bugs, Glitches etc. zur Tagesordnung gehören und auch viele Mechaniken natürlich noch nicht wie geplant funktionieren.

Darum soll es hier auch gar nicht gehen. Beim Durchspielen hat sich bei mir aber unabhängig davon leider sehr schnell das Gefühl breit gemacht, dass die Entwickler selbst nicht wirklich wissen, was genau Gothic damals eigentlich so gut und kultig gemacht hat. Und genau darauf möchte ich hier mal genauer eingehen.

Grafik und Spielwelt
Bereits von der Grafik des Spiels war ich etwas irritiert. Klar, die ist im Vergleich zum großen Vorbild selbstverständlich sehr viel schicker, detaillierter und technisch ein sehr großer Schritt nach vorne, aber leider sind die Farben für meinen Geschmack viel zu grell und bunt. Gothic ist trist, dreckig und seine Landschaft in etwa so attraktiv wie ein Vorort von Bielefeld. Der Teaser hat mich leider viel mehr an das (ebenfalls viel zu bunte) Gothic 3 als an den ersten Teil der Serie erinnert. Und auch wenn es nur ein Detail ist: Bloodwyns Rüstung ist furchtbar. Nein. Einfach nein.

Was man bisher von der Spielwelt gesehen hat, hat mich aber wirklich angesprochen. Man hat sehr viele charakteristische Orte schnell wiedererkannt, gleichzeitig wurden aber auch einige schöne neue Areale eingebaut. Ich hoffe nur, dass die Entwickler in keinem zu großem Maßstab planen. Wenn das Budget für eine rundum gelungene Spielwelt nicht ausreicht, dann fokussiert euch lieber auf das Wesentliche und macht eine kleine, liebevoll durchdesignte Welt, als mit zu großen, evtl. leeren und schlecht gepolishten Arealen daherzukommen. (*hust* Gothic 3 *hust*)

Interface und Steuerung
Das UI gefällt mir richtig gut. Es ist richtig schick und einhundert Mal komfortabler als die grauenhafte Inventarsteuerung von damals. Hier hat man das ganze wunderbar modernisiert. Aber für mich gab es viel zu viele Tutorialeinblendungen und die Hervorhebungen lootbarer Objekte sprangen einen regelrecht an. Wenn ihr sowas aus Komfortgründen in das Spiel einbauen wollt, ist das vollkommen ok und in der heutigen Zeit auch nur folgerichtig, aber ermöglicht es bitte denen, die es wollen, das Zeug abzustellen. Und bitte werdet um Himmels Willen diese furchtbaren Lebensbalken über dem Spieler und den Gegnern los!

Und auch die Charaktersteuerung ist wirklich super modernisiert worden und dass man das alte und (für die meisten Leute – ich mochte das immer ganz gerne :P) hakelige Kampfsystem über den Haufen geworfen hat und durch eine deutlich taktischere Variante ersetzen möchte, finde ich absolut gut und richtig.

Writing
Kommen wir jetzt aber zu meinem größten Kritikpunkt am Teaser: dem Writing. Das, was zu einem großen Teil die unheimlich dichte Atmosphäre von Gothic ausgemacht hat, war sein Writing. Natürlich gewinnen weder die Story noch die Charaktere des Originalspiels einen Innovationspreis, aber die Art und Weise, wie die Welt und ihre Bewohner auf den Helden reagiert haben und wie der zynische Hauptcharakter mit seiner Situation umgegangen ist, waren in Gothic einfach einzigartig. Das kommt im Teaser leider gar nicht rüber. Der Hauptcharakter hat gar nichts mehr von seiner lakonischen Art und redet stattdessen ununterbrochen weinerlich mit sich selbst, Diego ist für einen Gefangenen der Kolonie, dem zu Beginn des Spiels unser Schicksal eigentlich relativ egal sein sollte, viel zu fürsorglich und warum man sich dafür entschieden hat den relativ pragmatischen Einsteig mit Bullits "Taufe" durch ein blockbusteresques Feuerwerk á la Uncharted inklusive explodierendem Warenaufzug zu ersetzen, wissen wahrscheinlich nicht einmal die Entwickler selbst. Im Kontext der Handlung ergibt der Einstieg nicht einmal Sinn, da das die einzige Möglichkeit des Alten Lagers war, Waren in die Außenwelt zu schicken und damit also quasi ihre einzige Einnahmequelle. (Ich erinnere alle Gothic-Veteranen nur einmal daran, was passiert ist, als eine gewisse Mine überflutet wurde).

Und hier zu guter letzt noch drei Punkte, die für mich ein gelungenes Gothic Remake unbedingt berücksichtigen sollte, die ich in der kurzen Teaser-Spielzeit aber nicht wirklich einschätzen konnte:

1. Das Progression-System
Behaltet unbedingt das alte Progression-System der Vorlage bei. Will heißen: Gegner bitte nicht mit dem eigenen Level skalieren und auch nicht respawnen lassen! Außerdem braucht es meiner Meinung nach in den ersten Spielstunden zahlreiche Gegner, die einen gnadenlos aus den Latschen hauen und gute Rüstungen müssen teuer und schwer zu bekommen sein.

Dafür muss jeder Levelaufstieg und jeder investierte Lernpunkt einen großen Einfluss auf die Stärke des Charakters haben, sodass man im Laufe des Spiels unheimlich stark wird. Was ich an Gothic immer so toll fand, war, dass man in den ersten Leveln vor jedem Scavenger panisch davonrannte, während man am Ende des Spiels quasi die gesamte Kolonie alleine das Fürchten lehren konnte.

2. Spielerische Freiheiten und alternative Lösungswege
Was Gothic (und vor allem seinen Nachfolger Gothic II) extrem auszeichnete, waren seine Möglichkeiten, verschiedene Quests auf unterschiedliche Arten zu lösen: Jage ich den Störenfried mit Waffengewalt aus dem Lager? Oder bitte ich ihn freundlich zu gehen? Oder begleite ich ihn am Ende sogar in sein eigenes Lager und falle meinen eigentlichen Auftraggebern dreist in den Rücken? Wenn ihr alte Quests quasi 1:1 übernehmt, behaltet unbedingt deren Struktur bei und orientiert euch bei neu implementierten auch ruhig an Gothic II. (Ich denke da beispielsweise an die Quest, ein Lehrling in Khorinis zu werden und den Schmied zu beeindrucken – da gab es wirklich unfassbar viele Möglichkeiten, das Ding zu lösen.)

3. Die (Neben-)Charaktere
Ich persönlich fand in Gothic auch insbesondere die ganzen großen und kleinen Charaktere wunderbar, die man im Laufe der Handlung hassen lernt. Die nervige Klette Mud zum Beispiel. Oder Lefty, dem man aus gutem Willen heraus helfen will, den Bauern Wasser zu bringen und (Achtung, kleiner Spoiler) der einen anschließend allen Ernstes dazu zwingen möchte, das jeden Tag zu machen und einen, wenn man sich weigert, gnadenlos verprügelt. Was für ein Arsch. Diese ganzen kleinen Momente, bei denen man verarscht, verprügelt oder beklaut wird und man sich anschließend denkt: "Na warte! Sobald ich stärker geworden bin, bist du dran!", sind für mich ein ganz wesentlicher Teil der Spielerfahrung, wenn man ein Gothic spielt. Deswegen hat es mich auch ziemlich enttäuscht, dass bei der Ankunft im Minental im Teaser kein Bullit auf mich gewartet hat, der mir – bereits im Introvideo – erst einmal auf die Fresse haut. Da hatte man sofort, bevor man überhaupt irgendeine Quest bekam, ein Ziel: Es diesem Idioten gehörig heimzuzahlen!

Fazit
So, das war jetzt insgesamt doch sehr viel Kritik. Man erkennt aber auf der anderen Seite auch ein enormes Potenzial (und schon sehr viele wirklich positive Veränderungen).

Ich hoffe einfach, dass die Entwickler – bei aller wirklich notwendigen Modernisierung und Anpassung an den Massenmarkt – einige der alten Tugenden des Originals nicht vergessen. Denn dann kann das Ding hier wirklich stark werden!
Posted December 14, 2019. Last edited February 19, 2021.
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325.4 hrs on record (325.0 hrs at review time)
Immer noch der König aller Lootshooter
Ödnis soweit das Auge reicht, ein Haufen verrückter Hillbilly-Hinterweltler, die einem ans Leder wollen und ungefähr eine Milliarde Knarren: Was im ersten Moment wie Texas klingt, ist bei Borderlands 2 der Planet Pandora. Ok, ich gebe zu, der Witz war ziemlich schlecht, Borderlands 2 hingegen ist auch mittlerweile 7 (!) Jahre nach Release immer noch super – warum, das versuche ich hier mal zu erklären.

Story und Charaktere
Die Handlung des Spiels ist schnell erzählt: Auf dem Planeten Pandora wurde das seltene und äußerst wertvolle Metall Eridium entdeckt, das die böse Hyperion Corporation unter Führung ihres charismatischen CEOs "Handsome Jack" mit rücksichtslosen Methoden fördern will, um damit auf Pandora die Macht zu ergreifen. Wir wollen das natürlich verhindern. Das ist auch schon die ganze Story-Prämisse. Damit gewinnt man definitiv keinen Literaturnobelpreis, aber sie erfüllt ihren Zweck.

Das Writing brilliert aber auf einem anderen Gebiet: den Charakteren und dem Humor. Mit Ausnahme der spielbaren Charaktere, die – abgesehen von einigen sarkastischen Sprüchen – völlig blass bleiben, sind alle freundlichen NPCs (wie zum Beispiel die sprengstoff-verrückte Tiny Tina oder der dödelige Stewardbot Claptrap) auf sympathische Art gnadenlos überzeichnete und unheimlich lustige Figuren. Und Handsome Jack ist ohne Zweifel einer der kultigsten und sympathischsten Antagonisten der ganzen letzen Jahre. Darüber hinaus ist das Spiel regelrecht gespickt mit (teilweise echt schwarzem) Humor und popkulturellen Anspielungen.

Um die Handlung nachvollziehen zu können, muss man den Vorgänger übrigens nicht unbedingt gespielt haben (dessen Story war sowieso dünner als 'ne Bibelseite). Lediglich die vier spielbaren Charaktere aus dem ersten Teil und einige Händler treten in Teil 2 wieder als NPCs in Erscheinung.

Gameplay und Steuerung
Wenn man Wolfenstein und Diablo in einen Mixer schmeißt, alles kräftig durchrührt und am Ende noch eine Prise Mad Max drüberschüttet, kommt am Ende Borderlands raus. Das Spiel ist ein Ego-Shooter mit einer ungeheuren Menge an levelbasiertem Loot und das Töten von Gegnern und Erledigen von Quests gibt Erfahrungspunkte. Bei jedem Levelaufstieg kann man dann eine klassenspezifische Fähigkeit freischalten oder verbessern. Ingesamt gibt es vier (mit DLCs 6) spielbare Klassen, die alle unterschiedliche Archetypen darstellen, z.B. den Scharfschützen/Asssassinen, den Sturmsoldaten, den Tank etc.

Jedes Areal des Spiels hat Gegner mit unterschiedlich hohen Leveln. Stolpert man in ein Gebiet, für das man eigentlich im Level noch zu niedrig ist, bekommt man schnell Probleme. Borderlands 2 ist aber wirklich gut gebalanced – besucht man die unterschiedlichen Areale in der von der Handlung vorgegebenen Reihenfolge, kommt man auch ohne nerviges Gegrinde überall gut zurecht. Nimmt man jedoch wirklich jede noch so kleine Nebenmission mit, kann das Spiel auch schon mal zu leicht werden – das will ich ihm bei der Menge an Aufgaben aber nicht zum Vorwurf machen.

Für jeden Waffennarr dieser Welt muss Borderlands 2 der Himmel auf Erden sein. Das Waffenarsenal ist wirklich riesig. Und wenn ich riesig sage, dann meine ich unfassbar-krass-mega-in-die-Fresse-riesig. Es gibt Pistolen, Maschinengewehre, Scharfschützengewehre, Schrotflinten etc., teilweise mit verschiedenen Elementar-Effekten, aber auch Laserwaffen, die beim Schießen schreien wie eine Ziege oder Raketenwerfer, die beim nachladen wild durch die Gegend fliegen und anschließend explodieren.

Das Missionsdesign des Spiels ist leider ein repetitives Grindfest: Auf das Wesentliche heruntergebrochen gibt es in Borderlands eigentlich nur zwei Missionstypen: "Hole etwas" oder "Töte jemanden". Man muss dem Spiel aber zu Gute halten, dass diese Aufgaben fast immer wirklich unterhaltsame kleine Geschichten erzählen, weswegen zumindest mir in all meiner Spielzeit nur selten langweilig wurde. Trotzdem muss man betonen: Wenn ihr abwechslungsreiches Missionsdesign sucht – dann sucht weiter, hier gibt es nichts zu sehen.

Spielwelt
Pandora? Das kenn ich doch aus diesem Film mit den komischen blauen Männchen! Das Pandora aus Borderlands hat mit James Camerons grünem Urwald-Pandora aber nichts zu tun. Die meisten Areale sind entweder Eis- oder Sandwüsten und alles ist hoffnungslos vermüllt. Kurzum: Pandora ist alles andere als ein schöner Ort, die Spielwelt glänzt aber mit einem tollen Mad-Max-Post-Apokalypse-Charme und verfügt über eine Vielzahl von wirklich außergewöhnlichen Außen- und Innenarealen. Neben den erwähnten Wüsten, gibt es einige futuristische Städte wie Sanctuary, die dem Spieler auch als Hub dient, aus Schrott zusammengebaute Banditenfestungen und unterirdische Höhlensysteme.

Grafik
Optisch ist Borderlands 2 – das auf der nicht mehr aktuellen Unreal Engine 3 basiert – nicht mehr auf dem neuesten Stand. Das kaschiert das Spiel aber gekonnt mit seinem Cell-Shading-Stil und starken Kontrasten – die verleihen Borderlands 2 eine Art "Comic-Look". Ob man das jetzt mag oder nicht, hängt natürlich vom persönlichen Geschmack ab, ich selbst finde den Grafikstil von Borderlands 2 super und absolut zeitlos.

Sound
Der Sound ist auch super. Die Waffengeräusche haben ordentlich Druck, der Soundtrack ist passend und die Figuren sind von professionellen Synchronsprechern vertont worden. Handsome Jack beispielsweise wird von Kai Taschner gesprochen, der unter anderem Rick Sanchez aus Rick & Morty seine Stimme geliehen hat. Was will man mehr?

Umfang
Borderlands 2 ist ein wahnsinnig umfangreiches Spiel: Eine ca. 30 Stunden dauernde Hauptstory, unzählige Nebenquests und Herausforderungen sowie ein New-Game-Plus Mode können einen schon echt lange beschäftigen – mit allen DLCs kann man die Spielzeit dann nochmal locker verdoppeln. Wie man an meiner Spielzeit sehen kann, habe ich schon unzählige Stunden (300+) in dem Spiel versenkt und gerade einmal drei von insgesamt sechs spielbaren Klassen ausgiebig gespielt (das Maxlevel von 50, mit DLCs sogar 80, habe ich übrigens bis heute mit noch keinem Charakter erreicht).

In Zahlen
Writing
Story 6/10
Charaktere, Dialoge und Humor 10/10

Technik und Atmosphäre
Spielwelt 7/10
Grafik 10/10
Sound 9/10

Gameplay
Level- und Aufgabendesign 5/10
Steuerung 5/5
Balancing 9/10
Waffenarsenal und Fähigkeiten 10/10
Gegner-KI 3/5
Umfang: 10/10

Insgesamt: 84/100

Borderlands 2 bietet Looten und Leveln in Perfektion mit einer wirklich super funktionierenden Diablo-Suchtspirale. Das ganze wird gewürzt mit einem famosen Humor und herrlich verrückten Charakteren. Wer auf Lootshooter steht, findet hier auch im Jahr 2019 immer noch das beste, was das Genre zu bieten hat. Macht euch aber darauf gefasst, genretypisch mit repetitivem Gameplay konfrontiert zu werden.

PS: Ich rate jedem, der sich überlegt Borderlands 2 zu kaufen, zur Game of the Year Edition zu greifen, weil ihr dort für ein paar Euronen mehr, wie bereits erwähnt, zwei zusätzlich spielbare Klassen und mit "Tiny Tina's Assault on Dragon Keep" den vielleicht besten DLC aller Zeiten bekommt.

PPS: Am besten ist das Spiel übrigens im Coop mit bis zu drei Freunden.
Posted September 22, 2019. Last edited September 24, 2019.
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Rattenscharf!
Es gibt sie also noch! Mit ihrem ersten komplett eigenen Spiel (das keine Auftragsarbeit für andere Studios/Publisher war) A Plague Tale: Innocence zeigten die Franzosen von Asobo Studio eindrucksvoll, dass im Games-as-a-Service-Free-to-play-Battle-Royal-Lootboxen-schieß-mich-tot-Spielesumpf des Jahres 2019 eine scheinbar verlorene Tugend doch noch existiert: Richtig gute, storygetriebene Singleplayer-Spiele!

Story
A Plague Tale spielt im vom Krieg mit den Engländern und der Pest gezeichneten Frankreich des 14. Jahrhunderts. Die 15-jährige Amicia und ihr 5 Jahre alter Bruder Hugo – zu Beginn des Spiels auf brutale Art und Weise frisch zu Waisen geworden – durchstreifen das Land, um ein Heilmittel für den kleinen Hugo zu finden. Der leidet nämlich seit seiner Geburt an einer mysteriösen Krankheit. Dabei werden sie von einem mörderischen Kommando der Inquisition verfolgt, die Hugo wegen ebenjener Krankheit suchen und als wäre das nicht schon schlimm genug regt sich eine weitere Gefahr: Ratten fallen in unglaublicher Zahl über das Land her und verschlingen alles, was ihren Weg kreuzt. Lediglich mit Feuer kann man sich vor den Biestern schützen.
Das Spiel erzählt eine wirklich filmreife, toll inszenierte und sehr emotionale Geschichte in einem historischen Szenario und kombiniert diese auf intelligente Weise mit Fantasy-Elementen.

Charaktere
Außerdem sind die beiden Hauptfiguren unheimlich gut gezeichnet. Amicia ist ein tapferes Mädchen, das aber auch oft mit sich selbst und ihrer schwierigen Aufgabe – Verantwortung für Hugo zu übernehmen und ihn zu beschützen – hadert und ist durchweg glaubwürdig. Das eigentliche Highlight ist aber ihr kleiner Bruder: Hugo, der sein gesamtes bisheriges Leben in Quarantäne verbracht hat, ist ein aufgeweckter und neugieriger kleiner Junge. Oft bleibt er andächtig stehen und bewundert alltägliche Dinge, die er in der Welt sieht, aber manchmal wird ihm auch bewusst, welche Bürde er seiner Schwester auferlegt und es kommt zu herzzerreißenden Momenten. Der Kleine ist unfassbar gut geschrieben. Ich bin eigentlich jemand, der von Kindern in Spielen schnell genervt ist, aber Hugo ist mir sofort ans Herz gewachsen. Was das Spiel außerdem wirklich clever umsetzt, ist die Beziehung der beiden Geschwister untereinander: Wegen Hugos Leben in Isolation kennen sich die beiden zu Beginn des Spiels kaum. Und so baut der Spieler zusammen mit Amicia in A Plague Tale nach und nach eine Bindung zu dem Kleinen auf.

Den Gegnern hingegen kann man so gutes Writing leider nicht bescheinigen. Egal ob menschenhandelnde englische Besatzungsmächte oder blutrünstige und fanatische Inquisitions-Eumel: Alle Widersacher in A Plague Tale: Innocence sind skrupellos und einfach böse - klassische, historisch angehauchte Schwarz-Weiß-Fantasy also – die Feinde könnten genauso gut Orks, Untote oder meinetwegen sogar Nazis sein, einen großen Unterschied würde man nicht bemerken. Bei so gut geschriebenen Protagonisten wie Amicia und Hugo sind solche Schema F Bösewichte aber verschmerzbar.

Spielwelt und Atmosphäre
Die einzelnen Level des Spiels sind richtig liebevoll und detailliert gestaltet. Es gibt farbenfrohe, herbstliche Laubwälder und verwunschene Burgruinen, aber auch düstere Schlachtfelder und verwahrloste Städte. Generell sind die Level sehr abwechslungsreich. Einzelne Schauplätze werden zwar auch recycelt und im Lauf der Handlung mehrmals besucht, da sich aber während der Geschichte die Jahreszeit ändert (sie beginnt im Herbst und endet im Winter) und man manche Areale sowohl tagsüber als auch nachts zu Gesicht bekommt, fällt das für mich nicht weiter ins Gewicht.

Eine Open-World gibt es nicht und böse Zungen würden die Gebiete vielleicht sogar als „Schlauchlevel“ bezeichnen. Aber ich finde das genau richtig so! Das Spiel baut mit seinen detailliert gestalteten Arealen und seinem tollen Writing eine wahnsinnig dichte Atmosphäre auf und eine frei erkundbare Open-World wäre hier doch nur kontraproduktiv gewesen.

Gameplay und Steuerung
A Plague Tale ist ein Action-Adventure, das seinen spielerischen Fokus auf Stealth legt. Meist geht es darum, Gegner intelligent zu umgehen und sich einen Weg durch die Rattenschwärme zu bahnen. Vereinzelt gibt es auch ein paar Fluchtsequenzen, wenn man zum Beispiel vor einem wild gewordenen Bauernmob in der Stadt fliehen muss etc.
Muss man doch einmal einen Gegner ausschalten, verfügt Amicia über eine Steinschleuder und eine Handvoll alchemistischer Substanzen, die sich mit überall in der Spielwelt gefundenen Materialien upgraden lassen. Im Nahkampf sind die Kinder aber absolut wehrlos: Kommt einem ein Gegner zu nahe, wird man sofort mit einem Hieb getötet. Amicia ist also auf intelligentes Fallenstellen und den Fernkampf angewiesen. Das liegt ja auch irgendwie nahe, denn ein 15-jähriges Mädchen ist schließlich keine ausgebildete Killermaschine.

Insgesamt bietet A Plague Tale in diesem Bereich wenig neues. Quasi alle Stealth-Mechaniken des Spiels hat man so auch schon woanders gesehen – verstecken in Gras, Gegner mit Steinwürfen ablenken etc. – sie funktionieren aber wirklich hervorragend, sind immer nachvollziehbar und selten frustrierend. Generell ist das Leveldesign wirklich gelungen und die zahlreichen kleineren Rätsel, wenn man zum Beispiel mit Hilfe von Licht einen Weg durch die Ratten finden muss, echt gut. Das Spiel ist aber tendenziell eher zu leicht: Die Rätsel sind meistens zwar spaßig, aber eher seicht gehalten und die Gegner sind – wie in anderen Stealth-Games auch – sagen wir mal, eher naturtrüb: Versteckt man sich in hohem Gras ist man praktisch unsichtbar und es ist auch kein Problem, einen Gegner z.B. x Mal hintereinander mit einem Steinwurf in die gleiche Ecke zu locken.

Grafik
A Plague Tale sieht umwerfend aus. Die Texturen sind knackscharf, die Charaktermodelle sind unheimlich detailliert und die Lichteffekte sind der absolute Wahnsinn. Trotz eines vergleichsweise geringen Budgets erreicht das Spiel hier mühelos AAA-Standard. Nur die Animationen können schon mal etwas hakelig aussehen – das ist jetzt aber Meckern auf extrem hohem Niveau.

Sound
Auch der Sound ist fantastisch. Das Spiel verfügt über einen genialen und unglaublich stimmungsvollen Soundtrack, der hauptsächlich von Streichern wie Cellos getragen wird und das Spiel immer passend untermalt, die Umgebungsgeräusche sind super und alle Figuren sind von professionellen Sprechern richtig gut vertont (deren Leistung ist zwar nicht immer oscarreif, aber insgesamt wirkt die Synchronisation sehr hochwertig).

Der Umfang
...fällt rein quantitativ insgesamt eher schmal aus. Um A Plague Tale komplett durchzuspielen, braucht man ca. 12 Stunden. Diese 12 Stunden sind aber toll inszenierte Unterhaltung auf höchstem Niveau ohne irgendwelche nervigen Elemente, die nur der Streckung der Spielzeit dienen und Mikrotransaktionen oder kostenpflichtige DLCs gibt's auch keine. Ich habe das Spiel im Sale für 30 Euro gekauft und zu keinem Zeitpunkt das Gefühl gehabt, zu viel dafür bezahlt zu haben.

In Zahlen
Writing
Story 9/10
Charaktere und Dialoge 8/10

Technik und Atmosphäre
Spielwelt 8/10
Grafik 10/10
Sound 10/10

Gameplay
Leveldesign 8/10
Steuerung 5/5
Balancing 7/10
Waffenarsenal und Fähigkeiten 8/10
Gegner-KI 3/5
Umfang: 8/10

Insgesamt: 84/100

Was soll ich sagen? Für mich ist A Plague Tale (zumindest bis jetzt) das Spiel des Jahres 2019. Es überzeugt mit einer super geschriebenen Handlung, liebenswerten Hauptfiguren, einer wunderbar düster-atmosphärischen Spielwelt und sieht dabei auch noch richtig toll aus. Dass bei all den Stärken spielerisch kein Innovationsfeuerwerk abgebrannt wird, darüber kann ich persönlich locker hinwegsehen.

Chapeau Asobo Studio! Ich ziehe meinen Hut, denn A Plague Tale ist einfach ein (haha!) "rattenscharfes" Spiel.

Entschuldigt bitte, ich finde schon selbst raus.
Posted September 18, 2019. Last edited November 29, 2019.
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