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Posted: Oct 15, 2015 @ 4:55am
Updated: Oct 23, 2015 @ 4:33am

Na super! Vielen Dank auch, ihr da von Stoic Studio. Habt es tatsächlich geschafft, mir mit eurem The Banner Saga (= TBS) den Mund wässrig zu machen. Ausgerechnet mir!!! Als ausgewiesenen Fantasy-Muffel, der sonst rein gar nichts mit dem Setting anzufangen weiss. Selbst moderneren RPG-Hits wie ein "Pillars of Eternity", "Wasteland 2" oder "Divinity: Original Sin" schenke ich mangels Interesse wenig Beachtung.
Aber eure epische Karawanenflucht mit einem Hauch nordischer Mythologie ist schuld daran dass ich mit meinen sonst so eisernen Games-Vorlieben breche und seit Tagen nur sehr schwer von meiner Spieler-Maus loskomme. Was mache ich bloss falsch ?! Oder: Was macht ihr goldrichtig? Was ist euer Erfolgsgeheimnis?
Liegt es an eurer fantastischen wie eindringlich erzählten Geschichte rund um Rook, Iver, Hakon, Ubin und Co.? An den knackigen Rundentaktik-Gefechten gegen Wüter und Banditen? An den regelmäßigen Entscheidungsmomenten die über die Moral, Stärke oder das einfach nackte Überleben meiner Mitstreiter bestimmen?
Je mehr ich darüber nachdenke umso mehr komme ich zum Schluss dass es das Gesamtpaket an sich sein muss. Anders kann ich meine restlose Begeisterung für euer Kickstarter-Baby nicht erklären.

Über einem namenlosen Wikinger-Kontinent kündigt sich der Schatten einer scheinbar unaufhaltsamen Katastrophe an. Aus allen Richtungen ziehen steinerne Kolosse, die "Wüter", durch das Land und hinterlassen auf ihrem Weg Tod und Zerstörung. Die Menschen und die Varl (= gehörnte Riesen), die nach einer kriegreichen Vergangenheit eine brüchige Allianz bilden, sind gleichermaßen bedroht und versuchen mit allen verfügbaren Kräften ihren eigenen Niedergang abzuwenden. Dabei hängt deren aller Überleben vom entschlossenen Zusammenhalt ab, welcher aufgrund stetig in der Luft liegender Spannungen immer wieder zu zerbrechen droht. Ist der Wille sowohl der Menschen als auch der Varl stark genug um gemeinsam gegen die Wüter zu bestehen? Und was genau treibt Letztere überhaupt zu ihrer vernichtenden Wanderung durchs ganze Land an? Droht womöglich Ragnarök, das Ende der Welt?

Ab hier trägt der Spieler die schwere Last der Verantwortung, denn er allein lenkt das Geschehen und das Schicksal von Rook, Hakon und ihrem Gefolge. Der Marsch der Karawanen wird regelmäßig von Ereignissen unterbrochen die in Dialogen / Situationsbeschreibungen münden und man der gefürchteten Qual der Wahl gegenübersteht den nächsten Schritt zu bestimmen.
Wage ich den direkten Kampf gegen eine sich anbahnende Wüter-Formation oder umgehe ich die Konfrontation? Nehme ich Hilfesuchende auf oder lasse ich es weil ich schon genug Mäuler zu stopfen habe? Mache ich häufiger Rasten die an den Vorräten zehren oder fordere ich meine Leute weiter zur Bewegung auf, im Wissen dass die Gruppenmoral sinken könnte? Gebe ich mich entschlossen, herrschend, gar brutal? Oder zeige ich lieber meine rücksichtsvolle, gutmütige Seite und neige so zur Leichtsinnigkeit?
Die Konsequenzen meiner Entscheidungen lassen sich nie vorausahnen, die Früchte meines Handels ergeben sich erst unmittelbar danach, manchmal gar später, und dann gibt es auch kein Zurück mehr. Meine Karawane kann wachsen, genauso aber auch ohne Vorankündigung schrumpfen. Ebenso steht die Loyalität meiner wichtigsten Kämpfer / Freunde immer wieder auf Messers Schneide, und wenn man nicht aufpasst oder am allerwenigsten damit rechnet, lässt TBS auch gerne einen, wenn nicht gar Mehrere meiner Lieblinge ruck-zuck hopps gehen. Unwiderruflich und im höchsten Maße schmerzhaft. Wenn man meint man tut gerade das Richtige, zieht das Spiel einem glatt den Boden unter den Füßen weg.
Das sind Momente des Hoffens und Bangens die am ehestens noch mit Telltale Games aufregend-aufwühlenden "The Walking Dead"-Seasons zu vergleichen sind, denn an Atmosphäre / Emotionalität kann es TBS mit den wegweisenden Interactive Movies - und obwohl beide so grundverschiedene Genre-Spiele sind - locker aufnehmen. Kein Wunder, sind hier ja ehemalige Bioware-Veteranen am Werk.

Nun zu den rundenbasierten Kämpfen.
Im weitesten Sinne klassisch. Bis zu 6 der verfügbaren Recken auswählen, evtl. deren Fähigkeiten-Attribute zuvor etwas pushen, auf einem Schachbrett-ähnlichen Bereich verteilen, Kampf starten. Figuren vorrausschauend bewegen, Spezialfähigkeiten klug einsetzen, Nah- wie Distanzkämpfer effektiv in den Angriff schicken. Soweit so bekannt. Die große Besonderheit bei TBS ist aber jene dass jeder Charakter - sowohl auf Seiten des Spielers als auch der KI - neben der Lebenskraft auch einen Rüstungswert besitzt. Und genau hier wird's nochmal ne Ecke taktischer. Schwächt man vorab des Gegners Rüstung, kann bei ihm im nächsten Zug ein größerer Kraftschaden gelandet werden. Bei voller Gesundheit kann dieser aber immer noch sehr hart zuschlagen. Was nun tun? Zuerst die kleinen Einheiten traktieren? Oder doch besser die großen Brocken? Oder lieber auf die Rüstung pfeifen und zu mehreren auf einen Wüter-Klotz draufhauen?
Die Rundenkämpfe haben es in sich und sind bereits auf mittlerer Schwierigkeitsstufe nicht ohne, da die KI selbst kleinste Fehler des Spielers gnadenlos bestraft und selbst sich so gut wie keinen Patzer erlaubt. Hört sich frustig an? Vielleicht. Ist es unfair? Nein. Es ist sehr herausfordernd, und wenn schon jemand wie ich - ein selbsterklärter Genre-Noob, dessen letztes Runden-RPG (in ähnlicher Form) das arg in die Jahre gekommene '"Gorky 17" war - die Lust nach fehlgeschlagenen Schlachten nicht verliert und jeder schwer errungene Sieg von einem unbeschreiblich erhabenen Gefühl (plus einer "YES!!!"-Faust) begleitet wird, kann man am Ende nur dafür danken dass man nicht so easy durchs Spiel rauscht.

Erwähnenswert wäre dann noch das Detail "Ansehen". Gewonnene Kämpfe nebst vorteilbringende Entscheidungen steigern eben diese, welche gleichzeitig als universelle 'Währung' dient. Sie ist wichtig für die allgemeine Moral der gesamten Karawane, kann aber auch zum Erwerb von Vorräten oder nützlichen Ausrüstungsgegenständen investiert werden, alternativ lassen sich damit auch Ränge und gleichzeitig die Attribute der waffenkundigen Helden erhöhen. Und wieder raucht der Kopf, wo doch nur begrenztes "Ansehen" zur Verfügung steht und man regelmäßig erwägen muss wer oder was höhere Priorität genießen soll.

Die atmosphärisch zum Schneiden dichte Geschichte von TBS und seiner Charaktere wird ergreifend, wendungsreich und überaus spannend erzählt. Dafür dass die Entwickler diese dem Spieler nur in reiner Textform und spärlich animierten, jedoch stimmig gezeichneten Standbildern (die wohl, denke ich, nicht nur meine Wenigkeit an Ralph Bakshis animierte Version von "Der Herr der Ringe" erinnern) näherbringt, fällt es gar nicht schwer in diese verschneite Welt einzutauchen und den Druck, die Sorgen, die Ängste von Rook und dem Rest nachzuempfinden. Das glückt vor allem durch die erstklassig geschriebenen Massen von Texten, die nie zu pathetisch geraten und trotz der melancholischen Grundstimmung auch leichten Humor zynischer Natur erlauben. Zusammen mit der ebenso minimalistisch gehaltenen Soundkulisse (typische Wikinger-Gesänge, ruhiger Score, authentische Geräusche und ganz, ganz wenig Sprachausgabe) hat das Spiel alles was ein solch storylastiger Taktik-RPG-Adventure-Hybrid braucht. TBS gefällt auch ohne spektakulären Grafikbombast, Zwischensequenzen im Dutzend oder richtiger Vollvertonung.

Fazit:
Ein toller Auftakt einer epischen Fantasy-Trilogie. Nicht nur Genre-Liebhaber, auch andere Spieler sollten sich diese Story-Meisterwerk nicht entgehen lassen. Es ist vielleicht nicht der komplexeste oder gar (mit 10 - 15 Stunden Spielzeit) längste Genre-Mix, sicherlich aber eines der schwierigeren und innovativeren Spiele der letzten Jahre. Ich freue mich schon auf Teil 2 in diesem Winter.
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1 Comments
elektrogame Oct 15, 2015 @ 5:18am 
Das liest sich fantastisch! Ich denke ich bleibe dabei und werde es mir günstig in einem Sale zulegen. Vielen Dank für das Review. Hab es mit Spannung erwartet. Weiter so. :)